Eine ganze Welt
!ein Lesehighlight 2021!
Klappentext:
„Surie Eckstein erfüllt ihr Leben als Oberhaupt einer Großfamilie. Sie erwartet gerade ihr erstes Urenkelkind, als eine Katastrophe eintritt – oder ist es ein Gottesgeschenk? Mit 57 Jahren ist sie noch einmal schwanger - mit Zwillingen! Plötzlich fühlt sich Surie, in der chassidischen Gemeinde von Brooklyn hochangesehen und ständig von Menschen umgeben, völlig allein. Nicht einmal Yidel, der nicht nur ihre große Liebe, sondern auch ihr bester Freund ist, wagt sie sich anzuvertrauen, so groß ist ihre Scham. Denn was sollen bloß die Leute denken? Zum ersten Mal stellt Surie die starren Regeln infrage, die ihr ganzes Leben geprägt haben.“
Da denkt man als Frau, irgendwann ist auch mal gut wenn die Wechseljahre eintreten und dann das...jedenfalls bei Surie: schwanger mit Zwillingen und das mit 57 Jahren. Die Geschichte „Eine ganze Welt“ von Goldie Goldbloom handelt genau um dieses Thema und um noch so viel mehr. Mein Leserherz wurde hier in alle Höhen und Tiefen mitgenommen und es wurde berührt, wo es selten durch ein Buch so berührt wird. Goldbloom beleuchtet hier die orthodoxen Juden in New York. Wer schon mal da war, wird festgestellt haben, das unheimlich viele Juden in der Stadt leben. Sie haben ihre eigenen Regeln, genau wie alle Menschen und alle Religionen auf der Welt. Goldbloom geht hier sehr schön gefühlvoll vor und wählt Worte mit Bedacht. Hier stimmt alles. Vor allem der Spruch „Erstens kommt es anders und Zweitens als man denkt!“. Das trifft nicht nur in der Geschichte zu, sondern auch im Schreibstil von Goldbloom. Surie hier so zu erleben, war ein echtes Geschenk der Autorin an die Leserschaft. Zu sehen, welche Gedankengänge Surie hat, als sie erfährt das sie schwanger ist, was wohl die Familie dazu sagen wird, was die Gemeinde dazu sagen wird, ob sie das alles schafft und dann kommt da noch der Tot ihre Sohnes Lipa wieder hoch. Die Protagonistin muss viel verarbeiten aber auch der Leser. Gedankenkino bleibt hier keineswegs aus - und das nicht nur für die weibliche Leserschaft! Es war wirklich eine Wonne zu sehen, wie Surie die Hilfe ihrer Hebamme annimmt und auch in ihrem Alter noch Neues dazu lernt - plötzlich werden große Probleme ganz klein und stemmbar. Als Leser muss man hier wahrlich viel verarbeiten und viele Dinge lassen einen dabei staunen oder gar wütend werden, denn das Leben in einer jüdischen Gemeinde ist anders und genau da trifft Goldbloom den Nerv.
Dieses gesamte Mischung aus etwas Bizarrem, etwas Liebevollem und etwas Besonderem, aus Zusammenhalt und Gemeinschaft ist „Eine ganze Welt“ für sich. Sie merken, der Titel trifft hier perfekt zu. Ich kann nicht anders und vergebe ausgezeichnete 5 Sterne für dieses Lesehighlight. Dieses Autorin wird definitiv in mein Repertoire aufgenommen!
Fenster in eine andere Welt
„Eine ganze Welt“ ist ein weiteres Lesehighlight für mich in diesem Jahr.
Goldie Goldbloom bringt den Leser:innen die Lebensrealität chassidischer jüdischer Familien in Brooklyn/New York nah. Die 57-jährige Suri Eckstein hat bereits 10 Kinder und 32 Enkel als ihr Leben durch eine erneute Schwangerschaft aus den Fugen gerät. Nie hätte sie daran gedacht, in diesem Alter noch schwanger werden zu können. Sogar vor ihrem Ehemann Yidel verheimlicht sie, dass sie in anderen Umständen ist, hofft Monat für Monat er würde es selbst erkennen. Suris Sorgen kreisen darum, was ihre Familie und ihre strenggläubige Gemeinde wohl denken könnten. Sie hat Angst, Schande über ihre Familie zu bringen, schließlich haben Yidel und sie längst ein Alter erreicht, in dem Sexualität keine Rolle mehr spielen sollte. Wie würden ihre Kinder und Enkelkinder reagieren? Hinzu kommen Ängste gesundheitlicher Art: Wird sie den Anstrengungen einer erneuten Geburt überhaupt gewachsen, werden die Zwillinge, die in ihr heranwachsen, gesund sein? „Eine ganze Welt“ öffnet ein Fenster in eine geschlossene Gesellschaft mit eigenen Normen und Wertvorstellungen. Die Autorin, die selbst Chassidin und in der queer-Bewegung akiv ist, weiß wovon sie erzählt. Sie kennt die Geborgenheit der engen Gemeinschaft ebenso wie die Verzweiflung, die dann spürbar wird, wenn eigene Sehnsüchte und Lebensentwürfe nicht konform mit denen der Gemeinde sind. Sehr lebendig wird im Roman das alltägliche Leben einer chassidischen Familie gezeichnet. Suri Ecksteins Sorgen, Ängste, aber auch ihre kleinen Schritte in eine Welt, die nicht für sie vorgesehen ist, vermitteln sich beim Lesen sehr direkt. Suris Geschichte hat mich bewegt - ich habe mit ihr gelitten, gebangt, gezweifelt und konnte auch ihre Wut und Hilflosigkeit gut spüren. „Eine ganze Welt“ öffnet ein Fenster in eine sehr fremde Welt. Für mich stimmte hier alles: Sprache, Geschichte, Spannungsbogen, Figurenentwicklung, Informationsgehalt und Emotionalität. Obwohl der Roman eher leise daher kommt, konnte er mich durchgehend fesseln und in seinen Bann ziehen. Große Leseempfehlung!